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Das Prinzip Knusperhäuschen

Es war einmal eine kleine Schule mitten im Nirgendwo. Fast verwunschen kam sie mir vor, als ich das erste Mal vor ihr stand. Irgendwie erinnerte mich das alternde Backsteingebäude mit leicht muffigem Geruch an die Harry-Potter-Akademie. Wie wird es mir wohl hier gehen? - frage ich mich, gezeichnet von unzähligen Höhen und Tiefen meiner pädagogischen Laufbahn. Wird es hier endlich besser? Endlich in Ruhe arbeiten können, ohne ständig von oben und unten daran erinnert werden müssen, dass ich als eine der ReligionslehrerInnen an das Ende der pädagogischen Nahrungskette gehöre – das ist mein Traum, dessen Erfüllung mit jeder Schule, die ich hinter mir lasse, immer weiter in der Ferne zu schwinden scheint. Aber vielleicht klappt das jetzt – sage ich mir bestärkt von der Hoffnung, welche einem Neuanfang innewohnt.

Der Beginn meiner Arbeit an dieser kleinen verwunschenen Schule mitten im Nirgenwo könnte man als vielversprechend bezeichnen. Das leise Misstrauen, welches mich wie ein Schatten begleitet, ist – so sage ich mir – vielleicht nur ein Misstrauen des gebrannten Kindes. Ich werde willkommen geheißen, mir wird gleich von der Schulleiterin das Du angeboten, ich werde zu dem ersten Termin von ihr persönlich mit dem Auto abgeholt. Es dauert nicht lange, und ich werde angefragt, ob ich die Schulkonferenzen moderieren würde. So hoch in der innerschulischen Hierarchie bin ich noch nie aufgestiegen. Nicht nur gehöre ich dazu, sondern habe sogar einen besonderen Status. Meine Kompetenzen scheinen hier endlich zur Geltung zu kommen. Ich mache neben dem Religionsunterricht auch gelegentlich Seelsorgegespräche und dann auch ganz regelmäßig Musikunterricht zusammen mit einer Kollegin und alleine den Chor.

Ich genieße das Vertrauen der Schulleiterin, die mit mir über ihre Probleme mit dem renitenten, faulen und feindseligen Personal offen spricht. Ich habe den Eindruck, sie kämpft doch für eine gute Sache und ihre Mühe wird von den meisten LehrerInnen einfach boykottiert. Auch die junge, äußerst fähige Sozialarbeiterin ist der Ansicht. Also stehen wir zusammen unserer Chefin zur Seite.

Dann zeigt ihre makellose Fassade die ersten Risse. Ihre Kompetenzen, deren laut ihrer Selbstauskunft kein Ende zu sein scheint, offenbaren sich nach und nach als das, was sie wirklich sind: Eine Blendestrategie. Jede Unterrichtsvorbereitung, welche wir zusammen machen. entpuppt sich als Klatsch und Tratsch und endet klassisch mit dem Spruch: Wir sind doch professionell genug, um die Stunde auch spontan durchzuführen. Ihr pädagogisches Interesse ist in Wahrheit nur die Verpackung für ein fast krankhafttes Macht- und Karierebestreben. Die Kinder sowie die Kolleginnen sind ihr egal, es sei denn, sie eignen sich als eine passende Hintergrundkulisse für ihre Soloauftritte. Ihre Führungsqualitäten sind die eines skrupellosen Diktators, der wie viele von dieser Sorte – auch noch unter Verfolgungswahn leidet. Ich staune nicht schlecht, als sie mich das erste Mal fragt, was denn über sie im Lehrerzimmer so erzählt wird. Ich staune vor allem wegen ihrer – wie mir scheint – dummen Selbstsicherheit, dies von mir verlangen zu können. Sie macht es immer wieder.

Zu einer Diktatur gehört auch die Zensur. Wir haben eine Schulcloud mit unzähligen verschlüsselten und unverschlüsselten Kanälen, über die wir mit einzelnen Klassen, KollegInnen, SchülerInnen und Eltern kommunizieren können. Ein ziemlich komplexes Kommunikationsgeflecht. Auch deswegen wundere ich mich immer mehr, als nach geradezu jeder Mail von mir prompt ihre Reaktion folgt, die meist als eine Bitte formuliert wird, diese und jene Nachricht zu löschen.

Zu jeder Diktatur gehört auch unerbittlicher Kampf gegen Klassenfeinde. Und das aus der Geschichte bekannte Phänomen des stillen Verschwindens. Während meiner Zeit an der Schule, die mich jetzt an das Knusperhäuschen erinnert (zu erst verlockend, dann gefährlich), verschwinden einige KollegInnen praktisch von Tag auf Tag. Sie verschwinden spurlos. Ohne Abschied, ohne Nachricht, ohne eigene Stimme. Die Schulcloud schließt sich hinter ihnen wie das Wasser hinter einem Ertrunkenen. Lediglich der trockene Satz der Schulleiterin gibt uns dann bescheid: Die Kollegin XY hat die Schule auf eigenen Wunsch verlassen. Manche berichten leise und vorsichtig, wie sie gesehen haben, wie unsere Schulleiterin die entsprechende Person quasi eigenhändig des Hauses verweist, als sich diese Person venigstens das letzte Mal von allen verabschieden wollte. So stillschweigend ist u.a. auch meine liebe Sozialarbeiterin „gegangen worden“...

Da beschleicht mich das erste Mal die Ahnung, dass es mir auch bald auch so ergehen könnte. Die Ahnung hatte Recht. Heute, am 3.1.23, wurde ich der Schule verwiesen und aus der Schulcloud ausradiert. Jetzt können wahrscheinlich alle wieder den bekannten Satz lesen: Frau Dr. Kristinova hat unsere Schule auf eigenen Wunsch verlassen.

Warum eigentlich? Die Antwort liegt auf der Hand. Auch ich wurde irgendwann zum Klassenfeind und zur Bedrohung. Irgendwann? Ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, wo ich mich ihrer Manipulationsversuchen verweigert habe und auf Distanz ging. Da fing die Verfolgungsjagd an. Als Religionslehrerin bin ich ja einer anderen Leitung unterstellt – das wusste sie natürlich. Also fing sie an, regelmäßige Beschwerden an meine eigentliche Chefin zu senden. Kennen Sie auch diese ohnmächtige Hilflosigkeit, wenn Sie sich mit Vorwürfen konfrontiert sehen, die einfach nicht stimmen? Denn: Wie beweisen, dass sie etwas nicht getan haben? Manchmal ist das genauso illusorisch, wie zu beweisen, dass es Gott (oder etwas anderes) nicht gibt.

Es begann ein Kampf, der mich sehr viel Kraft kostete. Ich habe angefangen, alles zu dokumentieren, eine zusätzliche Arbeitsbelastung für mich und meine ARU Leiterin. Und dann kam doch der Knall. Früher als gedacht, zugegeben. Was war der Auslöser für den Rauswurf? - Eine Kleinigkeit, von der wir Theologen und Theologinnen wissen, dass sie in Wahrheit eine Kraft werden kann von einer enormen Wucht. Mit dem Wort. Mein Weihnachts- und Neujahrswunsch an Kinder, Kolleginnen und Eltern beinhaltete zwei Worte, genau zwei Worte, die die Lavine auslösten. Es waren die Namen von zwei Kolleginnen, die unsere Schule sang- und klang- und spurlos verlassen mussten. Diese zwei Tabuwörter sorgten wieder für eine prompte Reaktion der Schulleiterin, die mich dazu bringen wollte, diese meine Mail zu löschen. Und obwohl meine Antwort immer noch ziemlich diplomatisch war, da hat sie wohl begriffen, wie gefährlich ich ihr werden kann.

Vielleicht hält sie mich für ein gefährliches schlichtes Gemüt, welches sich in seiner Gutmütigkeit einfach nicht an das stillschweigende Redeverbot hält. Oder aber sie ahnt, dass dieses schlichte Gemüt wiederum meine Maske war...

So gehe ich. Ich verlasse das Knusperhäuschen, welches sich als Gefängnis entpuppte. Ich denke an die neuen Kolleginnen, welche uns vor den Ferien vorgestellt wurden. Die ahnen ja nicht, worauf sie sich hier einlassen – dachte ich mir damals. Ich denke an die Kinder, welche wenigstens ein Paar Abschiedsworte meinerseits verdient hätten. Und an die Kolleginnen, welche wahrscheinlich nach einer kurzen Irritation und vielleicht auch Empörung wohl wieder schnell zum Alltag übergehen. Ich glaube nicht, dass jemand für mich die Stimme erhebt; war ich auch die Einzige, die ihre Stimme für die rausgeworfene KollegInnen erhoben hat. That´s reality.

   Ich verlasse das Knusperhäuschen reicher um eine weitere Erfahrung, die ich „das Prinzip Knusperhäuschen“ nenne, und auf die ich herzlich gerne hätte verzichten können. Und der Traum von einer Schule, an der ich einfach in Ruhe meine Arbeit für meine Lieblingsmenschen machen darf, rückt noch weiter in die Ferne. 

 Dr. Katarína Kristinová 3.1.23

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