top of page

Predigt im Weihnachtsgottesdienst am 24.12.2018 um 17.00 in der Bethlehem-Kapelle in Oranienburg

Liebe Gemeinde, das, was wir zu Weihnachten feiern und erinnern, ist ein Wunder. Ja, ein Wunder. Und: keine Angst – vor Ihnen steht nicht eines dieser frommen Gemüter, die ihnen bei der erstbesten Gelegenheit den „lieben Gott“ oder den „lieben Jesus“ um die Ohren hauen.

Ich bin als promovierte Theologin und als Wissenschaftlerin geübt im nüchternen kritischen Denken. Ich habe gelernt und praktiziere es auch: Ich treibe mein Denken aus Gründen der Redlichkeit um der Wahrheit und um Gottes Willen über die Schmerzgrenze der religiösen Befindlichkeit bis hin zur äußersten Konsequenz.

Und dennoch, oder besser gesagt, gerade deswegen spreche ich vom Wunder als der Wahrheit der Weihnacht. Und wenn Sie auf meine Wortwahl achten, dann haben Sie schon gemerkt, ich spreche vom Wunder – und nicht vom Spektakel, von Sensation, vom Event. Zwischen diesen beiden Kategorien besteht ein im wahrsten Sinne ein himmelweiter Unterschied.

Vielleicht erkennen Sie ihn, diesen Unterschied, selbst, wenn Sie jetzt auf das folgende Krippenspiel achten. Es handelt sich diesmal eher um ein Hörspiel, entwickelt von einem bekannten katholischen Theologen und Religionspädagogen Hubertus Halbfass. Lassen Sie uns zuvor ihm gemeinsam lauschen.

Wunder und Spektakel – was für ein himmelweiter Unterschied. Gerade wir gehören zu einer Generation, die - so wage ich zu behaupten – geradezu Spektakel übersättigt ist. Das Fernsehprogramm ist ja voller Sensationen, Events und Spektakel. Nicht mal die Nachrichten kommen ohne sie aus. Das, was mit Massenanziehenden Auftritten von dem großen Magier David Cooperfield, Queen, Madonna, oder meinetwegen auch Helene Fischer anfängt, wird fortgesetzt bei den Auftritten der PolitikerInnen, verwendet beim Wahlkampf, beim Papstbesuch, aber auch bei Sportevents oder bei Kaufveranstaltungen.

Nicht nur die mediale Landschaft, sondern auch die Wirtschaft setzt auf die Kraft des Spektakels. Und so gibt es mittlerweile nicht nur kein Auto, sondern keine Zahnbürste, keine Schokolade und kein Joghurt, kein beworbenes Produkt, welches nicht umgeben würde von der Aura des Magischen, Glücksbringenden, heile Welt Verheißenden.

Ganz lapidar gesagt: Wir können uns kaum bewegen vor lauter Spektakeln. Nicht umsonst warnen kluge Menschen vor der sogenannten Reizüberflutung, also der Gefahr der sinnlichen und geistigen Abstumpfung durch Überlastung.

In der Religionsgeschichte der Menschheit mangelt es auch nicht an Events und Sensationen. Wer von Ihnen sich schon einmal mit ägyptischer, griechischer oder auch germanischer Mythologie beschäftigt hat, der oder die hat sicher jetzt noch vor Augen all die blutigen Kämpfe, die kosmischen Explosionen, die Weltkatastrophen, die Himmelserscheinungen, die göttlichen und widergöttlichen Mächte, die ihre Stärke auf faszinierende Weise unter Beweis stellten. Die Mythologien der großen Kulturen wurden alljährlich rituell nachgespielt und versetzten über Jahrtausende Menschen immer wieder ins Staunen.

Das, was wir heute machen, ist nichts anderes: Wir wiederholen, spielen nach, schauen und hören zu, einer Geschichte, deren Strahlkraft wir uns in unserer kulturellen Identität verdanken. Nur stehen wir im Vergleich mit den von mir aufgezählten Religionen ziemlich blass da, finden Sie nicht? Denn sehen ab wir von einigen netten literarischen Versuchen der beiden Evangelisten (Lk und Mt), die Geschichte um die Geburt Jesu doch etwas peppiger zu machen – hier die Engel, da ein Stern, da ein Kindermord - dann bleibt etwas ganz prosaisches übrig: Ein Säugling in einer Krippe. Mit diesem Bild betritt vor ca 2000 Jahren ein neuer Gott die Bühne der Weltgeschichte und will es mit allen anderen Göttern aufnehmen. Und: welch´ ein Wunder: Er arbeitet sich in der Tat bis an Spitze, und in unserem Teil der Welt gewinnt er auf der ganzen Linie.

Suchen wir die Erklärungen für den Sieg des christlichen Gottes erstmal nicht im Bereich der Soziologie oder der Politik. Gehen wir ganz an den Anfang, da, wo die ersten Christen als ein Häufchen Wunderlinge von allen Seiten belächelt wurden. Und sie wurden u.a. genau deswegen belächelt: Sie hielten das für ein göttliches Wunder, wofür ihre römisch-hellenistischen Zeitgenossen nur ein müdes Lächeln übrig hatten. Da liegt ein Kind gewindelt in einer Krippe uns sie sagen: Siehe, da ist Gott. Da hängt ein Mensch am Kreuz und sie sagen: Da ist Gott.

Wirklich verrückt. Ver-rückt. Denn mit diesen Behauptungen werden unsere Maßstäbe in der Tat ver-rückt, verschoben, und alle, die Augen haben um zu sehen, und Ohren zu hören, und Kopf um zu denken, fangen an, sich zu fragen: Vielleicht ist der Glaube dieser ChristInnen doch nicht so ein Unfug, wie ich dachte. Vielleicht haben sie doch Recht. Ist nicht das Kommen eines neuen Menschen in die Welt doch ein Wunder? Bekommt mit diesem neuen Menschen die Welt nicht eine neue Chance? Steckt nicht in diesen neuen Menschen, die wir Kinder nennen, nicht unsere ganze Hoffnung darauf, dass es in der Zukunft mit uns nicht nur schlecht ausgeht?

Ich schaue mir meine SchülerInnen an und denke und sage es auch: Vor mir sitzen Ärzte, Ärztinnen, Lehrer, Forscherinnen, Künstler, Politikerinnen und vieles mehr. Ich sage es ihnen und sehe, wie ihre Augen strahlen. Sie strahlen wie in dem Film: Gottes Werk und Teufels Beitrag …. Gute Nacht, ihr Prinzen von Wells, ihr Könige von England.

Der Unterschied zwischen Wunder und Spektakel lässt sich mit wenigen Sätzen beschreiben. Das Wunder birgt ein Geheimnis, das Spektakel ein Rätsel. Über einen Sonnenuntergang hören Sie nicht auf, zu staunen, selbst wenn ihn Ihnen irgendein naturwissenschaftlich oder physikalisch belesener Schlaumeier gerade erklärt hat. Ein Spektakel, z. B. Magie, verblasst, wenn wir das Rätsel dahinter gelöst haben. Es wird dann mit der Zeit immer gewöhnlicher. Das Geheimnis ist im Vergleich zum Rätsel nicht lösbar, wenn auch als solches begreifbar. Deswegen wohnt dem Wunder die Ewigkeit inne. Wunder ist das, was seit Hunderten oder Tausenden Jahren geschieht, uns aber immer wieder ins Staunen versetzt.

Die Geburt eines Kindes birgt das Wunder des unwiederholbaren Einmaligen und des wirklich neuen Anfangs als der Unterbrechung des festgefahrenen Laufs der Welt. Dieser Mensch wird das vielleicht ganz anders machen – diese Hoffnung wird in der Weihnachtsgeschichte klar ausgesprochen. Ich meine, nicht mehr klar für uns, die Menschen der Neuzeit, in der die Wahrheit auf die sogenannte Faktizität geschrumpft ist. Aber die Menschen der Zeit Jesu wussten ganz genau, was sie mit der Erzählung von einer Jungfrauengeburt anfangen können. Dieses Symbol bedeutete: Hier, in diesem Menschen fängt etwas ganz Neues an. In diesem Menschen setzt Gott einen neuen Anfang, er unterbricht den Lauf der Dinge, lässt die Welt eine neue Wendung nehmen und zeigt uns einen neuen Weg, ja, einen Ausweg aus unserer Misere. Deswegen liegt hier in der Krippe jemand ungeheuer Wichtiges.

Aber was verstehen wir schon unter „wichtig“? – Auch da hält uns die biblische Weihnachtsgeschichte einen Spiegel vor. Erinnern Sie sich daran, wo die Sterndeuter aus dem Morgenland den neugeborenen König zuerst suchen? – Ja, sie gehen selbstverständlich in den Palast des Königs Herodes. Und werden dann eines Besseren belehrt. Diese ganzen Attribute, die unsere Wichtigkeit vor der Welt ausmachen, zählen vor diesem Gott überhaupt nicht. Und wie lächerlich wir vor ihm wirken müssen, wenn wir uns etwas auf unseren Status oder Besitz einbilden. Und wie mächtig wirkt plötzlich ein so zartes, so zerbrechliches und ohnmächtiges Kind, wenn beim Anblick seines Lächelns auch dem härtesten Rabauke längst vergessene Zärtlichkeit ins Gesicht geschrieben steht. Und was erschüttert und allarmiert die Menschlichkeitsressourcen in uns mehr als ein leidendes Kind?

Die ungeheure Wichtigkeit dieser Menschen besteht also nicht nur in den in ihnen schlummernden neuen Möglichkeiten, sondern auch darin, dass sie schon jetzt, da sie nach unserem Ermessen noch nichts können, uns zu liebevolleren, zärtlicheren, umsichtigeren, ja zu menschlicheren Menschen machen. Wenn das kein Wunder ist…

Ich wurde einmal nach einer religionsphilosophischer Veranstaltung an einem Gymnasium mit folgender Kritik konfrontiert: „Wissen Sie, Ihr Vortrag hat mich enttäuscht, denn ich habe etwas ganz anderes erwartet. Ich dachte, wenn Sie von der Religion reden, dann kommen Sie auch auf Hexenverbrennungen, Okkultismus oder Magie zu sprechen, oder Sie sagen etwas vom heiligen Gral. Aber Sie reden so nüchtern und erzählen uns nichts von Wundern und so… .“

Seit dem versäume ich es nicht mehr, klar uns deutlich zu erwähnen, dass ich 1. an Wunder glaube und einige auch schon erlebt habe und dass ich 2. für das größte Wunder halte, wenn aus einem - entschuldigen Sie den Ausdruck – Arschloch ein Mensch wird. Gegen die Wunder der Menschlichkeit sind alle gefeierte sogenannte Wunder der Natur oder der Technik pure Anfängerkunst.

Liebe Gemeinde, selbst wenn wir an der Existenz Gottes zweifeln oder sie gar ganz ablehnen, es ist nicht meine Absicht, Ihnen den Gottesglauben einzutrichtern. Wenn es mir aber nur im Ansatz gelingen sollte, Ihnen ein wenig Respekt vor der hinter dem christlichen Glauben stehenden Idee abzuringen, dann ist es mehr als genug.

Ich habe einmal in der Straßenbahn dem Gespräch zweier Schuljungs gelauscht. Der eine fragte den anderen: Für welchen Gott wärest Du – für den, der einen Roboter erschafft, oder für den, der einen Hund erschafft? – Für den, der einen Hund erschafft, sagte der andere, ohne zu zögern.

Eine ähnliche theoretische Frage möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben: Vergessen Sie das Wort Gott und denken an das, was das Wichtigste sein sollte auf dieser Welt. Was würden Sie für die Stellung des Wichtigsten nominieren? Gewalt, Macht, Einfluss, Spaß, Fortschritt, Wachstum oder die Menschlichkeit? Entscheiden Sie sich für das Letztere, dann wünsche ich Ihnen, dass Weihnachten für Sie zu einem solchen Fest der Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit wird, voller Begegnungen, Bereicherung, Seelennahrung, wenn auch ohne Spektakel und sicher ohne Langeweile.

Amen.

bottom of page