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Seitenblick Relisionsunterricht

Zur Frage der Relevanz

Oktober 2020

Die Nachricht von dem enthaupteten Lehrer in Frankreich traf mich mitten in meinem beschaulichen Urlaub an der dänischen Nordseeküste. Das, was ich verspüre, ist mehr als das übliche Entsetzen, welches sich nach jeder Nachricht solcher Art in mir breit macht. Es scheint noch etwas tiefer einzudringen. Weil ich auch eine Lehrerin bin? Weil ich auch in meinem Religionsunterricht für alle die Werte einstehe, die dem französischen Kollegen offenbar auch essentiell wichtig waren? Weil auch ich schon den Hauch einer solchen Gefahr zu spüren bekommen habe, die eine bestimmte Art von „Wertevermittlung“ nach sich zieht?

Es war vor einigen Jahren. Ich arbeitet an einem Berliner Gymnasium. Ich war gerade recht zufrieden, wie wohlwollend und geschichtsbewusst ich die Grundlagen des Islam den SchülerInnen vermitteln konnte. Ja, so kann man sicher etwas mehr Verständnis für das Fremde in den Menschen wecken, klopfte ich mir stolz auf die Schulter. Da sprach mich eine Kollegin auf genau diese Unterrichtsstunde an und vermittelte mir die Botschaft einiger Schüler der 13. Klasse. Ich soll aufhören, „den Islam schlecht zu machen“. Wenn nicht, so soll ich mich vorsehen und das Schulgebäude lieber nicht alleine verlassen.

Ich war schockiert. Nicht nur darüber, dass jemand meinen Unterricht dermaßen missverstehen und missdeuten kann. Nicht nur darüber, dass mir gerade etwas passiert, was ich in meinem harmlosen Kontext einer „kleinen“ sonst nicht weiter beachteten Religionslehrerin nie für möglich gehalten hätte. Es war auch die Reaktion der Kollegin, die mich sprachlos machte. Denn sie zeigte sich alarmiert in Hinblick auf die Qualität meines Unterrichts, nicht aber hinsichtlich der Tatsache einer ungenierten Gewaltandrohung seitens der Schüler, die sie mit einer bereitwilligen Selbstverständlichkeit an mich weiter leitete. Nicht mehr schockiert, sondern dann schon eher resigniert war ich nach dem Gespräch mit dem Schulleiter, der die geschilderte Situation auch nicht als außergewöhnlich Besorgnis erregend ansah. Das gleiche Muster zeigte auch die Reaktion meiner damaligen Vorgesetzten.

Also machte ich weiter meine Arbeit und verließ längere Zeit das Schulgebäude immer nur in Gesellschaft von anderen, bis zur der S-Bahnstation gelegentlich einen vorsichtigen Blick um mich werfend. Denn, ich kannte ja die Schüler, welcher mir mit Gewalt drohten, nicht. Sie gehörten einer Klassenstufe an, die ich gar nicht unterrichtete.

Es hat mich geradezu überrascht, als dann doch endlich jemand diesem Erlebnis eine wichtige Bedeutung zuschrieb. Ein junger Arzt, der mich während seines Notdienstes in einem Krankenhaus gründlich untersuchte und keine organische Ursache für die Schlaganfall-Symptome finden konnte. „Haben Sie denn in der letzten Zeit etwas Traumatisches erlebt?“ - fragte er, und mir fiel nichts anderes ein außer eben dieser Begebenheit. Sie stand aus der medizinischen Sicht nicht für sich alleine da, sondern stellte offenbar den berühmten letzten Tropfen dar, mit dem eine lange therapeutische Odyssee begann.

Ein Lehrer auf der offenen Straße enthauptet. Weil er für die Meinungsfreiheit warb. Die persönliche Erinnerung wird abgelöst von anderen grundsätzlichen Überlegungen. Stellen sich sich einen Augenblick mal vor, der Religionsunterricht würde – zusammen mit anderen „Laberfächern“- zu dem wichtigsten Bestandteil der Bildungsvermittlung werden. Warum? Weil endlich auch die Zuständigen begreifen, dass es hier im wahrsten Sinne um Leben und Tod geht. Um die Frage, was im Leben wirklich zählt, und wofür es sich zu leben und sterben lohnt. Was mich also in meinem Leben und Sterben wirklich hält und worauf sich also zu vertrauen lohnt. Eine Frage also, die mehr wiegt als alle anderen und deswegen ganz oben in der Fragehierarchie steht. Und der darum auch eine exponierte Position im Bildungskanon zukommt.

In einem solchen Fall müsste man zunächst endlich mit dem Missverständnis aufräumen, eine strikte weltanschauliche Neutralität der lehrenden Person sei hier geboten. Warum? Weil auch die Neutralität eine Position ist. Und zudem auch keine wünschenswerte, wenn es zum Beispiel um Meinungs- und Redefreiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit geht. Dann bräuchte man für die Ausübung dieses Berufs Menschen, die neben der gebotenen religionspädagogischen Kompetenz und idealerweise im Einklang ihrer eigenen Glaubensüberzeugung wahre Demokratinnen und Demokraten sind.

In Hinblick auf die eskalierenden Konflikte der Weltinterpretationen wird aber auch deutlich, ein solcher Unterrichtsfach ist dann mehr, viel mehr als eine beschauliche Informationsvermittlung . Der Religionsunterricht wird dann zusammen mit Ethik, Lebenskunde, Philosophie oder LER zu einem Labor der diskursiven Wahrheitssuche, der Gesprächskultur der Mitmenschlichkeit, kurz des Lebens selbst, dessen Zukunft in einem geschützten Raum unter einer professionellen Anleitung geübt werden kann und muss. Dass man hier in Blick auf Zukunft unserer Gesellschaft so viel retten aber auch so viel falsch machen kann – das macht die Bedeutsamkeit und Sprengkraft des weltanschaulichen Unterrichts aus.

Religion – mit der wichtigste Unterrichtsfach. - Ein fiktiver Ernstfall. Wären wir denn darauf auch gut vorbereitet? Sind wir kompetent genug? Glaubwürdig genug? Und nicht zuletzt auch: mutig genug?                                                                                Dr. theol. K. Kristinová

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