


Dr. theol. Katarína Kristinová
Dr. theol. Katarína Kristinová
Interwiew in Christ in der Gegenwart
August 31/2021
Interwiew in Christ in der Gegenwart
August 31/2021
16 Fragebogen Nr. 31/2021 BILDER CHRIST IN DER GEGENWART
Theologie für die Gegenwart
Was beschäftigt Lehrerinnen und Lehrer der Theologie?
In dieser Reihe antworten Theologinnen und Theologen
aus verschiedenen Fachrichtungen und Hochschulen,
was sie persönlich und im Beruf bewegt.
KATARÍNA KRISTINOVÁ
Was ist Ihr Lieblingsort?
Jeder, an dem ich ein Mensch sein darf.
Woran forschen Sie gerade?
Ich bin auf der Suche nach einem zeitgemäßen und zukunftsfähigen Gottesbild. Es soll einerseits von den nicht
mehr tragbaren metaphysischen Zügen
bereinigt, andererseits jedoch auch
nicht der Naivität eines vermeintlichen
Verzichts auf jegliche Metaphysik entnommen werden. Der Gottesbegriff
der Zukunft soll also im guten Sinn ein
postmetaphysischer sein. Seine Ermittlung setzt zugleich die Reformulierung
der – ihn erst ermöglichenden – Auffassung von der Wirklichkeit, der
Transzendenz und dem Menschenbild
voraus.
Meine aufregendste Bibelstelle...
… ist seit meiner Jugend Joh 8,32:
„Und ihr werdet die Wahrheit erkennen,
und die Wahrheit wird euch befreien.“
Glaube als Befreiung von den Illusionen,
auch der Illusion der Glaubenslosigkeit.
Also als konsequente Aufklärung.
Deswegen will ich keine Atheistin sein.
Mit welcher Person aus Gegenwart
und/oder Geschichte würden Sie
gerne diskutieren? – Worüber?
Aktuell mit dem tschechischen Theologen Tomáš Halík. Sein theologisches
Denken verdankt sich zum großen Teil
der Stille einer Abtei. Daher kommt
möglicherweise seine Frische und inspirierende Kraft. Ich würde mit ihm
gerne ein Gespräch über Gott und die
Welt führen, das einem spontanen und
redlichen Drauflosdenken gleicht,
bar jeglicher ideologischer oder
funktionalistischer Zwänge.
Mein „Herzens“-Gebet…
… habe ich wohl nicht. Aber eines geht
mir nicht aus dem Sinn. Es wird Friedrich dem Großen zugeschrieben: „Lieber
Gott, falls es dich gibt, rette meine Seele,
falls ich eine habe.“
Was ist für Sie das drängendste theologische Problem der Gegenwart?
Der drohende Verlust der TranszendenzEmpfänglichkeit und damit der Sieg des
Materialismus. Dieser würde nämlich
eine totale Entmenschlichung des
Menschen bedeuten.

Welchen Atheisten schätzen Sie?
Alle, die konsequent atheistisch sind,
sich also nicht unreflektiert irgendein
metaphysisches Hintertürchen offen
lassen. Solche, die sich auch der Sinnlosigkeit ohne Wenn und Aber stellen.
Solche, die ihren Gegner gründlich
studiert haben. Nietzsche, Camus,
Machovec ... Diese echten Atheisten
kenne ich leider nur aus den Büchern.
Und ich vermisse einen Atheismus, der
sich selbstkritisch reflektiert und über
sich selbst lachen kann.
Wann waren Sie zuletzt im Kino?
In welchem Film?
So vor drei Jahren in „Legend of Tarzan“.
Es war ein „soziales Geschenk“ an zwei
jesidische Jungs aus Syrien. Rein privat
hätte ich es mir nicht angetan.
Und im Theater?
Das war verständlicherweise noch „vor
Corona“. Ansonsten habe ich zuletzt
immerhin den Politischen Aschermittwoch im Theater des Westens in
Berlin verfolgt. Und im Januar konnte
ich in der Berliner Philharmonie die
„African Angels“ erleben. Dies war ein
atemberaubend schöner Abend mit dem
Chor der Cape Town Opera.
Wer sind Ihre Lieblingsdichter,
Ihre Lieblingsschriftsteller?
Für mein Leben geprägt hat mich der
slowakische Dichter Milan Rúfus. Seine
Verse über den Verlust der Kindheit, den
Schwund der Schönheit, der einhergeht
mit Gottesverlust. Nie vergessen werde
ich seine poetische Vision des Jüngsten
Gerichts, bei dem er, der Dichter, vor
Gott tritt und feierlich bekennt: „Ich habe
geliebt. Das muss reichen.“
Welche Musik hören Sie gern?
Klassische Musik ist für mich so etwas
wie Muttersprache. Sie strengt mich nie
an. Aber ich mag und schätze auch die archaische Tiefe der authentischen Folklore
aller Weltkulturen oder die Rasanz der
orientalischen Musik. Ich schmelze dahin
beim Belcanto, bei den beseelten Stimmen von Gospel-Sängerinnen und -Sängern, mag den Sound von Queen oder
Abba, bin aber auch für ein musikalisches
Grenzgängertum à la Freddie Mercury
und Montserrat Caballé zu begeistern.
Und, es mag etwas befremdlich klingen:
Ich habe sogar einen Sinn für Blasmusik.
Welches nicht-theologische Buch
lesen Sie momentan?
Bernhard Waldenfels’ „Phänomenologie
der Aufmerksamkeit“ und den Krimi
der US-amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Amanda Cross (1926–2003):
„Die letzte Analyse“.

Und welches theologische Werk?
„Theater für Engel“ von dem schon
erwähnten tschechischen Theologen
Tomáš Halík. Ich schätze überaus sein
kreatives Denken, welches mir neue
Horizonte eröffnet und mich inspiriert.
Es gibt mir zu denken und macht Spaß.
Wer ist Ihr theologisches Vorbild?
Eigentlich habe ich keines. Es sind vielmehr die Gedankenansätze, die mich
inspirieren und prägen. Und von denen
finde ich nahezu bei jedem beziehungsweise jeder etwas.
Welcher Kirchenbau, welcher Kirchenraum gefällt Ihnen am besten?
Ich habe in der letzten Zeit die schlichte
Eleganz der protestantischen Sakralarchitektur einmal mehr schätzen gelernt. Sie
lenkt nicht ab, sondern veranlasst mich,
mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Damit ist sie aber auch eine Herausforderung für alle, die es mit sich selbst
nicht aushalten können – und als solche
von einer unbequemen Heilsamkeit. Ich
habe in diesem Zusammenhang spontan
die Marup Kirche vor Augen, die sich
bis vor einigen Jahren an der Steilküste
zu Lonstrup (Dänemark) befand, bis sie
wegen Einsturzgefahr abgetragen werden
musste. Man sieht sie bis heute in der
Verfilmung des Romans „Babettes Fest“.
Was – wo – war Ihr schönstes
Gottesdiensterlebnis?
Da haben Sie einen wunden Punkt getroffen. Ein Gottesdienst, der von einer
unspektakulären Wahrhaftigkeit ist, zentriert um eine Predigt, die den Predigttext ernst nimmt und die Frucht einer
existentiellen Auseinandersetzung mit
demselben darstellt, ist leider eine seltene
Ausnahme. Die Gottesdienste meines
Mannes, Pfarrer Christian Reich, gehören
zu diesen Ausnahmeerscheinungen.
Wovor haben Sie Angst?
Vor Ohnmacht und Perspektivlosigkeit.
Und vor der Macht der Dummheit.
Worauf freuen Sie sich?
Meine Vorfreude beschränkt sich auf
Kurz- bis Mittelfristiges: den Feierabend,
den Morgenkaffee im Garten, das Ausschlafenkönnen, den Tag ohne Termine,
Urlaub ... Das existentiell Langfristige
fällt bei mir unter den Horizont von
Hoffnung. Ich hoffe, dass Gott in jeder
Hinsicht das letzte Wort behält.
Vielen Dank für Ihre Antworten.
