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Interwiew in Christ in der Gegenwart

August 31/2021

16 Fragebogen Nr. 31/2021 BILDER CHRIST IN DER GEGENWART


Theologie für die Gegenwart

Was beschäftigt Lehrerinnen und Lehrer der Theologie?

In dieser Reihe antworten Theologinnen und Theologen

aus verschiedenen Fachrichtungen und Hochschulen,

was sie persönlich und im Beruf bewegt.


KATARÍNA KRISTINOVÁ


Religionslehrerin und Habilitandin zur Frage des postmetaphysischen Gottesbegriffs. Geboren 1970 in Trencín, heutige Slowakei, Studium der Evangelischen Theologie an der Komenius Universität in Bratislava und an der Humboldt Universität zu Berlin. Mitwirkende am Fraternal Sororal Worker Programm der Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg; 2005 Diplom; 2004–08 Inspektorin der Stiftung Johanneum in Berlin; 2006–2008 Koordinatorin der Religionsphilosophischen Schulprojektwochen, eines Bildungsprojekts der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO); 2008 Religionspädagogische Ausbildung und Tätigkeit als Religionslehrerin an diversen Gymnasien und Grundschulen. 2017 Promotion. Landesweite Verkündigungs- und bundesweite Vortragstätigkeit. Seit 2020 Arbeit an der Habilitation. Veröffentlichungen: „Die verbotene Wirklichkeit. Untersuchungen zur wirklichkeitskonstitutiven Relevanz des christlichen Offenbarungsbegriffs“ (Tübingen 2018). Das Buch macht den radikal konstruktivistischen Ansatz für den christlichen Offenbarungsbegriff fruchtbar. Etliche weitere Texte – Essays, Predigten, Aphorismen usw. – sind aufder Homepage kristinova.vpweb.de zu finden.


Was ist Ihr Lieblingsort?

Jeder, an dem ich ein Mensch sein darf.


Woran forschen Sie gerade?

Ich bin auf der Suche nach einem zeitgemäßen und zukunftsfähigen Gottesbild. Es soll einerseits von den nicht

mehr tragbaren metaphysischen Zügen

bereinigt, andererseits jedoch auch

nicht der Naivität eines vermeintlichen

Verzichts auf jegliche Metaphysik entnommen werden. Der Gottesbegriff

der Zukunft soll also im guten Sinn ein

postmetaphysischer sein. Seine Ermittlung setzt zugleich die Reformulierung

der – ihn erst ermöglichenden – Auffassung von der Wirklichkeit, der

Transzendenz und dem Menschenbild

voraus.


Meine aufregendste Bibelstelle...

… ist seit meiner Jugend Joh 8,32:

„Und ihr werdet die Wahrheit erkennen,

und die Wahrheit wird euch befreien.“

Glaube als Befreiung von den Illusionen,

auch der Illusion der Glaubenslosigkeit.

Also als konsequente Aufklärung.

Deswegen will ich keine Atheistin sein.


Mit welcher Person aus Gegenwart

und/oder Geschichte würden Sie

gerne diskutieren? – Worüber?

Aktuell mit dem tschechischen Theologen Tomáš Halík. Sein theologisches

Denken verdankt sich zum großen Teil

der Stille einer Abtei. Daher kommt

möglicherweise seine Frische und inspirierende Kraft. Ich würde mit ihm

gerne ein Gespräch über Gott und die

Welt führen, das einem spontanen und

redlichen Drauflosdenken gleicht,

bar jeglicher ideologischer oder

funktionalistischer Zwänge.


Mein „Herzens“-Gebet…

… habe ich wohl nicht. Aber eines geht

mir nicht aus dem Sinn. Es wird Friedrich dem Großen zugeschrieben: „Lieber

Gott, falls es dich gibt, rette meine Seele,

falls ich eine habe.“


Was ist für Sie das drängendste theologische Problem der Gegenwart?

Der drohende Verlust der TranszendenzEmpfänglichkeit und damit der Sieg des

Materialismus. Dieser würde nämlich

eine totale Entmenschlichung des

Menschen bedeuten.



Welchen Atheisten schätzen Sie?

Alle, die konsequent atheistisch sind,

sich also nicht unreflektiert irgendein

metaphysisches Hintertürchen offen

lassen. Solche, die sich auch der Sinnlosigkeit ohne Wenn und Aber stellen.

Solche, die ihren Gegner gründlich

studiert haben. Nietzsche, Camus,

Machovec ... Diese echten Atheisten

kenne ich leider nur aus den Büchern.

Und ich vermisse einen Atheismus, der

sich selbstkritisch reflektiert und über

sich selbst lachen kann.


Wann waren Sie zuletzt im Kino?

In welchem Film?

So vor drei Jahren in „Legend of Tarzan“.

Es war ein „soziales Geschenk“ an zwei

jesidische Jungs aus Syrien. Rein privat

hätte ich es mir nicht angetan.


Und im Theater?

Das war verständlicherweise noch „vor

Corona“. Ansonsten habe ich zuletzt

immerhin den Politischen Aschermittwoch im Theater des Westens in

Berlin verfolgt. Und im Januar konnte

ich in der Berliner Philharmonie die

„African Angels“ erleben. Dies war ein

atemberaubend schöner Abend mit dem

Chor der Cape Town Opera.


Wer sind Ihre Lieblingsdichter,

Ihre Lieblingsschriftsteller?

Für mein Leben geprägt hat mich der

slowakische Dichter Milan Rúfus. Seine

Verse über den Verlust der Kindheit, den

Schwund der Schönheit, der einhergeht

mit Gottesverlust. Nie vergessen werde

ich seine poetische Vision des Jüngsten

Gerichts, bei dem er, der Dichter, vor

Gott tritt und feierlich bekennt: „Ich habe

geliebt. Das muss reichen.“


Welche Musik hören Sie gern?

Klassische Musik ist für mich so etwas

wie Muttersprache. Sie strengt mich nie

an. Aber ich mag und schätze auch die archaische Tiefe der authentischen Folklore

aller Weltkulturen oder die Rasanz der

orientalischen Musik. Ich schmelze dahin

beim Belcanto, bei den beseelten Stimmen von Gospel-Sängerinnen und -Sängern, mag den Sound von Queen oder

Abba, bin aber auch für ein musikalisches

Grenzgängertum à la Freddie Mercury

und Montserrat Caballé zu begeistern.

Und, es mag etwas befremdlich klingen:

Ich habe sogar einen Sinn für Blasmusik.


Welches nicht-theologische Buch

lesen Sie momentan?

Bernhard Waldenfels’ „Phänomenologie

der Aufmerksamkeit“ und den Krimi

der US-amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Amanda Cross (1926–2003):

„Die letzte Analyse“.



Und welches theologische Werk?

„Theater für Engel“ von dem schon

erwähnten tschechischen Theologen

Tomáš Halík. Ich schätze überaus sein

kreatives Denken, welches mir neue

Horizonte eröffnet und mich inspiriert.

Es gibt mir zu denken und macht Spaß.


Wer ist Ihr theologisches Vorbild?

Eigentlich habe ich keines. Es sind vielmehr die Gedankenansätze, die mich

inspirieren und prägen. Und von denen

finde ich nahezu bei jedem beziehungsweise jeder etwas.


Welcher Kirchenbau, welcher Kirchenraum gefällt Ihnen am besten?

Ich habe in der letzten Zeit die schlichte

Eleganz der protestantischen Sakralarchitektur einmal mehr schätzen gelernt. Sie

lenkt nicht ab, sondern veranlasst mich,

mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Damit ist sie aber auch eine Herausforderung für alle, die es mit sich selbst

nicht aushalten können – und als solche

von einer unbequemen Heilsamkeit. Ich

habe in diesem Zusammenhang spontan

die Marup Kirche vor Augen, die sich

bis vor einigen Jahren an der Steilküste

zu Lonstrup (Dänemark) befand, bis sie

wegen Einsturzgefahr abgetragen werden

musste. Man sieht sie bis heute in der

Verfilmung des Romans „Babettes Fest“.

Was – wo – war Ihr schönstes

Gottesdiensterlebnis?

Da haben Sie einen wunden Punkt getroffen. Ein Gottesdienst, der von einer

unspektakulären Wahrhaftigkeit ist, zentriert um eine Predigt, die den Predigttext ernst nimmt und die Frucht einer

existentiellen Auseinandersetzung mit

demselben darstellt, ist leider eine seltene

Ausnahme. Die Gottesdienste meines

Mannes, Pfarrer Christian Reich, gehören

zu diesen Ausnahmeerscheinungen.


Wovor haben Sie Angst?

Vor Ohnmacht und Perspektivlosigkeit.

Und vor der Macht der Dummheit.


Worauf freuen Sie sich?

Meine Vorfreude beschränkt sich auf

Kurz- bis Mittelfristiges: den Feierabend,

den Morgenkaffee im Garten, das Ausschlafenkönnen, den Tag ohne Termine,

Urlaub ... Das existentiell Langfristige

fällt bei mir unter den Horizont von

Hoffnung. Ich hoffe, dass Gott in jeder

Hinsicht das letzte Wort behält.



Vielen Dank für Ihre Antworten.

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