top of page

Wenn Jesus in den Himmel hinausgedrängt wird

(Veröffentlicht im Gemeindeblatt der Evangelischen Felsenkirchengemeinde in Berlin - Reinickendorf)

Alles beginnt mit unserem Gottesbild. Mindestens einmal die Woche hängt vor unseren Augen das Kreuz. Nehmen wir es noch als solches wahr?

Meiner Erfahrung nach sehen die Meisten in dem Gekreuzigten eigentlich den Sieger. Jesus starb freiwillig für uns, für unsere Sünden. - Diesen Satz hört man in den christlichen Kreisen wohl am häufigsten. Statt ihn den christlich ungeübten Ohren und Verstand zu erklären, wird er orakelhaft wiederholt, als sei es die einfachste und verständlichste aller Aussagen, sozusagen das christliche Einmaleins.

Wir kennen die grausame Geschichte seiner Passion, aber wir kennen auch schon ihr Happy End, den Sieg. Die Passion bleibt Vergangenheit, der Sieg ist das endgültige Ergebnis. Na, es ist doch alles gut gegangen. Er hat es überstanden, also freuen wir uns, dass er uns erlöst hat. Und da alles praktisch erledigt ist, können wir jetzt loben, was das Zeug hält. Jesus ist der Sieger, und wir mit ihm.

Ist Christi Leid wirklich nur noch Vergangenheit? Es ist wahrlich einfach, Jesus und Gott als Sieger zu denken, wenn wir ihn vom Kreuz holen und in den Himmel heben. Dort genießt er seinen wohlverdienten seligen Ruhestand und dort stört er auch unsere Ruhe nicht mehr. Von dort wird er ´runter geholt, wenn wir ihn brauchen. Wir ziehen ihn wie aus einer Trickkiste und schmücken mit ihm unsere Bittgebete, unsere Gottesdienste und unsere Feste.

Der gezähmte Jesus nach dem Bild unserer Bedürfnisse ist sofort zur Stelle, wenn es um unsere Bestätigung geht und wenn es sich moralisch-argumentativ schickt. Er taucht nie unvorhergesehen auf. Sein Platz ist deutlich abgesteckt. Unsere persönlichen Gespräche - mit der Ausnahme unserer „spontanen“ Missionsbestrebungen – kommen wunderbar ohne ihn aus. Das Wetter, das Essen und der letzte Urlaub nehmen den ganzen Gesprächsraum ein und dulden neben sich keine Konkurrenz.

Denken wir ihn als Gott mitten unter uns, dann haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder wird er gelegentlich vom Himmel herunter geholt, oder er ist konsequent da, ob wir es wollen oder nicht. Ein gutes Beispiel ist das Abendmahl: Entweder ist Jesus das Gespenst, welches wir bei jedem Abendmahl irgendwo im Raum oder im Brot zu spüren behaupten, und mit welchem wir unsere schönen, religiös-erotischen Gefühle begründen, oder er ist konkret in dem Antlitz meines Mitmenschen, dem ich vor lauter Andacht fast vergessen habe, am Tisch des Herrn auch Platz zu machen.

Entweder ist die Menschwerdung Gottes eine Historie, oder sie ist höchst aktuell. Entweder ist der einmal in der Vergangenheit menschgewordene Gott nach seinem Ausflug auf die Erde schon längst abgezogen, oder er ist weiter mitten unter uns. Wenn das zweite stimmt, dann dürfen wir unseren gekreuzigten Gott wohl nicht mehr in den mysteriösen geistigen Schwingungen, sondern eben im Menschen suchen. Und wenn wir dazu endlich bereit sind, dann müssen wir nicht lange suchen, denn er macht selbst im Antlitz unseres Mitmenschen auf sich aufmerksam.

Wenn Jesus als der Gekreuzigte mitten unter uns ist, dann spricht er uns an aus den Fernsehnachrichten, während wir gemütlich Abendbrot essen, dann verstellt er uns den Weg, wenn wir einkaufen gehen, dann schaut er uns aus dem Gesicht jedes hungernden Kindes, jeder vergewaltigten Frau, jedes gefolterten Menschen direkt in die Augen. Dann ist er eben allgegenwärtig und unbequem, weil lebendig, weil fordernd und beunruhigend.

Dieser unbequeme Jesus genießt in vielen christlichen Kreisen allerdings keine große Popularität. Wir wollen sein Leid nicht sehen, wir wollen nicht gestört werden, denn wir wollen unser schönes Wohlfühlchristsein genießen. Dass sich der Glaube nicht in schönen Gefühlen, sondern im konkreten Mitleid und Barmherzigkeit mit dem menschgewordenen und Mensch werdenden Gott realisiert, hat sich wohl noch nicht herumgesprochen.

Führen wir uns die Passionsgeschichte noch mal vor Augen, als ob sie heute geschehen würde. Da hängt ein unschuldiger Mensch. Nicht mal eine Handvoll bekennt sich zu ihm. Seine Freunde haben sich verkrochen, die schaulustige Menge hat kein Herz. Manch einer spürt, dass hier etwas Unrechtes geschieht, traut sich aber nicht, das auszusprechen. Die Einen sagen, das geschehe ihm recht, die anderen schweigen. Noch eine Gruppe ist da: die Christen. Sie sagen nicht, es geschieht ihm recht, sie schweigen auch nicht. Sie loben ihn und danken für die Erlösung von ihren Sünden. Als er die Bitte um Hilfe ausspricht und befreit werden möchte, sind sie empört. „Reiß dich zusammen“, rufen sie ihm zu, erbost über seine anmaßende Art. Es geht schließlich um unser Heil. Tja, wer würde schon sein Heil riskieren, wenn es um ein Menschenleben geht? Dann stirbt er endlich nach vielen Qualen. Endlich schweigt er und kann nicht mehr dazwischen funken, wenn wir in seinem Namen sprechen. Er wird zum „Heiland“ erhoben, in den „Himmel“ verbannt.

Nur ist dieser Mann irgendwie nicht tot zu kriegen. Er hat täglich, stündlich, ja, jede Minute ein neues Gesicht, er stört, provoziert, klagt, schleudert uns die unangenehme Wahrheit ins Gesicht, so wie er das schon immer getan hat. Jesus lässt sich nicht so einfach aus dieser Welt in das schöne Jenseits vertreiben. Jesus lebt, auch wenn es vielen gar nicht passt!

Die Resonanz

... ist genau so heftig, wie keiner ausführlichen Erwähnung wert: Nicht der Inhalt, sondern mein psychischer Zustand und meine Lieblosigkeit wurden besprochen...

bottom of page