top of page

Predigt zu Sach 9, 9-10 , Borgsdorf, 1.Advent 2020

Gnade sei mit euch

und Friede von Gott, unserem Vater,

und dem Herrn Jesus Christus. AMEN


Der heutige Predigttext befindet sich im Buch des Propheten Sacharja, der in der zweiten Hälfte des 6. Jhs vor Christus wirkte.

(Der Verständlichkeit wegen gleich vorab eine Erklärung. Der Ausdruck „Tochter Zion“, den Sie gleich hören werden und der in der Adventszeit öfter benutzt wird, bezieht sich auf einen Berg in Jerusalem, auf dem der Tempel Jahwes stand und in dem Jahwe in seinem Heiligtum wohnen sollte. In einem weiteren Sinne bezeichnet Zion die gesamte Stadt, in der sich der Tempel befindet, so dass „Zion“ und „Jerusalem“ (z.B. im Parallelismus membrorum) zu Synonymen werden.)

Nach einigem Überlegen entschied ich mich für die Übersetzung der Zürcher Bibel, aus der ich die Verse 9-10 des 9. Kapitels lese:


9Juble laut, Tochter Zion,

jauchze, Tochter Jerusalem,

sieh, dein König kommt zu dir,

gerecht und siegreich ist er,

demütig und auf einem Esel reitend,

auf einem Fohlen, einem Eselfohlen.

10Und ich werde die Streitwagen ausrotten in Efraim

und die Pferde in Jerusalem.

Und der Kriegsbogen wird ausgerottet.

Und er verheißt den Nationen Frieden.

Und seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer

und vom Strom (Euphrat) bis an die Enden der Erde.

-1-

Es war in meiner Heimat, der Slowakei der Nachwendezeit. Ich stand auf der Bühne einer kleinen Kurstadt und sang für mehrere Hundert Kurgäste begleitet von einem kleinen Orchester. Der Ort strahlte eine Gemütlichkeit aus, die Leute saßen vergnügt, an ihrem Wein nippend um ihre Tische und genossen die Musik und die beschauliche Atmosphäre des warmen sommerlichen Nachmittags. Plötzlich ging eine Unruhe durch die Reihen. Die Menschen drehten ihre Köpfe, und da sah ich ihn auch. Den damals bekanntesten slowakischen Politiker, den nationalistisch-konservativen Premierminister Namens Meciar, auf uns zukommen, umgeben von seinem Stab und beschirmt von seinen Personenschützern.


Nicht nur die Massen werden von den berühmten Menschen angezogen, sondern auch umgekehrt: die Berühmten oder die möchte gerne Berühmten von den Massen. Und hier hat der liebe Herr Premierminister offenbar eine spontan sich auftuende Ressource von Wählerstimmen gewittert und sich kurzer Hand ungeniert entschlossen, uns die Show zu stehlen, sie also zu seiner Show zu machen. So defilierte er mit seiner Gruppe an der Bühne vorbei, vor Augen des faszinierten Publikums, welches ihm sofort einen Beifall spendierte. Und wie durch Zauberhand, wortlos und wie im Trance, erhoben sich so ca. zwei Drittel unserer ZuhörerInnen und folgten ihm, während wir immer noch tapfer weiter spielten. Das war´s mit unserem Konzert – dachte ich, als ich das sah.


Doch da waren auch die Anderen. Menschen, die damals so wie ich nicht einverstanden waren mit seinem unversöhnlich autoritären Führungsstil, mit seiner cholerischen Ausbrüchen vor der Kamera, nicht einverstanden mit seiner krankhaften Selbstbezogenheit, seinen Lügen, dem Unfrieden, den er zwischen die beiden Völker, die Tschechen und die Slowaken säte, und seiner damals auch schon bekannten Korruptheit. Die Menschen, die sitzen geblieben sind, stimmten nicht mit in den Beifall ein, und folgten ihm auch nicht.

Überraschend und bis heute unvergesslich war für mich die Tatsache, dass diese Minderheit wider meiner Erwartung nicht angefangen hat, ihrem Protest laut Ausdruck zu verleihen. Es ertönten keine Buh-Rufe, keine verbalen Proteste, oder gar Beschimpfungen. Die Menschen saßen da mit Händen im Schoß und schauten absichtlich an ihm vorbei. Er existierte für sie nicht. Nachdem das nächste Lied zu Ende war, applaudierten sie bewusst uns und nicht ihm. Da die Veranstaltung sowieso schon einen Bruch erlitt, sprach ich die Verbliebenen an, bedankte mich für ihre Besonnenheit und für ihren Verzicht auf eine mögliche Eskalation. „Unsere Aufmerksamkeit wäre zu viel der Ehre für ihn“ - antwortete spontan ein Herr in der ersten Reihe. So habe ich anschaulich demonstriert bekommen, was ein würdevoller Protest, ja, was Würde ist. Und ich glaube, nie war ich stolzer auf mein Volk als damals, an diesem merkwürdigen Sommernachmittag.

- 2 -

Ich erzähle Ihnen diese Begebenheit, weil sie mir beim ersten Lesen des heutigen Predigttextes plötzlich wieder vor Augen stand. „Siehe, dein König kommt zu dir.“ – Da kam auch einer, und die Masse jubelte ihm zu. „Dein König“ – steht in unserem Text. – Die Machthaber dieser Welt sind unsere Machthaber – sie sind also menschengemacht. Sie werden zu dem, was sie sind, weil sie dazu von bestimmten Menschen, genauer gesagt, von Menschen mit einer bestimmten Haltung ermächtigt werden.


Die Haltung, mit der wir unseren KönigInnen, PolitikerInnen und überhaupt prominenten Persönlichkeiten begegnen, ist zum großen Teil der Ausdruck unserer Erwartungshaltung. Unserer Hoffnungen, Wünsche und Ansprüche an eine Person, der wir das kollektive, aber auch das eigene Schicksal im gewissen Sinne anvertrauen möchten oder eben nicht. Und wie die Ermächtigung so ist auch die Entmächtigung der weltlichen Könige menschengemacht. Der damalige slowakische Premierminister erlitt durch die unmissverständliche Haltung des gar nicht so kleinen Teils des Publikums eine spürbare Niederlage, die seinem Ego sicher nicht gut tat. Denn er enttäuschte ihre Erwartungshaltung und erwies sich dadurch als dieser Menschen nicht würdig.

- 3 -

Siehe, dein König kommt zu dir. - Kennen Sie den Präsidentenstau in Moskau? Das Wort „Präsidentenstau“ ist verhältnismäßig neu im Russischen. Es heißt, der Präsident mit seiner Gefolgschaft fährt zum Kreml, seinem Regierungssitz, also werden die Straßen abgesperrt und der übrige Verkehr der Metropole steht still.

Eine Kolonne aus schwarzer gepanzerten Geländewagen rast mit 150 Stundenkilometer durch Moskau, und die anderen Berufstätigen müssen sich beinahe tagtäglich am Ende ihres Arbeitstages lange gedulden. Der Präsidentenstau gehört seit einigen Jahren zum Alltag. Siehe, dein König kommt zu dir. - Es gibt Könige, die nicht die unseren sind, weil sie unsere Erwartungshaltung enttäuschen.

Als ich meinen Motorradführerschein gemacht habe, musste ich eine Regel lernen, die mich besonders befremdete. Und zwar, dass auch bei uns der Erste-Hilfe-Wagen anhalten und dem Präsidenten die Vorfahrt gewähren muss. Ist das denn nötig? Fragte ich mich. Selbst wenn es eventuell den Tod des Patienten bedeutet?

Ein Zeitzeuge des zweiten Weltkrieges erzählt in seiner Autobiographie von der Enttäuschung, die er bei seiner ersten persönlichen Begegnung mit dem Führer verspürte. Er, damals noch ein Schuljunge, stand gespannt und aufgeregt am Straßenrand und hielt Ausschau. Schau, da kommt er, da kommt der Führer. Ein Auto fuhr vorbei, auf dem hinteren Sitz war er, der Führer leibhaftig. Das soll der Führer sein? - dachte sich der Junge enttäuscht - „Was ist das für einen Führer, wenn er nicht mal selbst Auto fahren kann?“

- 4 -

Siehe, dein König kommt zu dir. Er kommt auf einem Eselfohlen. - Nicht gerade das Bild einer imponierenden Macht, oder? Wissen Sie, wie Vaclav Havel und Alexander Dubcek zu ihrer ersten Vereidigung kamen? Mit der Straßenbahn. Havels Hose war zu kurz, er sah darin sympatisch bemitleidenswert aus. Auch er hat damals – wenn auch unbewusst – dem Tschechischen ein neues Wort beschert. Seit dem heißt eine etwas zu kurz geratene Hose im Tschechischen „havelky“. Diesem kleinen großen Mann flogen die Herzen der Menschen zu. Nach seinem Tod war um sein Haus ein Blumenmeer – so viele Junge und Alten kamen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Auf seinem Grabstein – so hat er es sich gewünscht – steht nur sein Name und ein einziger Titel, falls man das Titel nennen kann: Bürger. Bürger Vaclav Havel.

Dietrich Bonhoeffer und Nelson Mandela waren als Gefängnisinsassen nach den weltlichen Maßstäben gänzlich machtlos. Und doch rief ihre Haltung nach einiger Zeit einen enormen Respekt des Wachpersonals hervor. „Man sagt mit, ich trete heraus aus meiner Zelle wie König“ - sagt Bonhoeffer sinngemäß in einem seiner Gedichte, und wundert sich, woher er, kleiner verzweifelter Mensch, diese Ausstrahlung, ja, diese Macht überhaupt hat.

- 5 -

Es ist unsere Erwartungshaltung, es sind diese unseren Vorstellungen und Bilder, welche uns eine ungeheure Macht verleihen. Denn sie entscheiden darüber, welche Person wir als „König“ akzeptieren, und damit wählen und ermächtigen, und welcher wir die Macht über uns entziehen.

Welche Erwartungshaltung haben wir also? Nach welchem König halten wir Ausschau? Welche Art von Macht imponiert uns? Und welche bewirkt in uns das Gegenteil? Ja, wie stellen wir sie uns eigentlich vor, die wahre Macht? Unsere Vorstellungen von der Macht - auch die von der göttlichen Macht, sind geprägt von Bildern, die uns im Laufe unserer Geschichte auf verschiedenen Wegen vermittelt wurden. Es gibt erwachsene, reife und es gibt unreife, naive, kindische Bilder der Macht. Es gibt heilsame Bilder der Macht, aber auch solche, von denen große Gefahr ausgeht, weil sie blenden, verführen und vergiften können. Und: leben wir nicht gerade in einer Zeit, in der solche Bilder der Macht aufeinander prallen und geradezu erbittert um unsere Seele kämpfen?

In diese heutige Zeit hinein spricht der Sacharja-Text und malt uns vor Augen das Bild eines Königs, der demütig auf einem Esel einzieht, um dem Kriegstreiben ein Ende zu bereiten und seine Friedensherrschaft zu verbreiten über die ganze Welt.


Dieses Bild mag nach den weltlichen Maßstäben eher als eine Karikatur daher zu kommen. Bis wir begreifen, dass diese vermeintliche Karikatur in Wirklichkeit das gewöhnliche, zur Schau gestellte Machtgehabe der weltlichen Könige karikiert. Gott, der sich uns als der kommende demütige Friedensfürst zeigt, öffnet so manchen die Augen für die wahre Größe und Macht und entlarvt damit zugleich die falschen Machtstrukturen.

Wie? Indem er zeigt, dass die wahre Größe etwas ganz Anderes ist, als die Besessenheit von der eigenen Macht. Dass die wahre Größe die eigene Macht nicht ängstlich hütet, sondern sie mit anderen teilt. Dass die wahre Größe die anderen Menschen ermächtigt und zur Mitverantwortung ruft, anstatt sie zu manipulieren. Die wahre Größe ist souverän und in ihrer Souveränität auch jederzeit bereit, sich klein zu machen.

Gemessen an diesem Friedensfürst, dem so menschlichen Gott-König, der da zu uns kommt, verkommen alle die Trumps, Putins oder Erdgans dieser Welt zu lächerlichen und oder bemitleidenswerten Figuren.

Advent ist die Zeit des Wartens, des Ausschau-Haltens, unterstützt und animiert durch biblische Bilder. Deswegen ist sie auch die Zeit einer Läuterung. Der Läuterung unserer Gottesbildes und damit unserer Erwartungshaltung. Es gibt Bilder, die können ungeheuer viel bewirken.


In einer tschechischen Sage wird von einem König erzählt, der sich immer wieder verkleidet als Bettler unter sein Volk begab, um die Wahrheit über den Zustand seines Landes zu erfahren. Als dies bekannt wurde, also dass der König von Zeit zur Zeit in Gestalt eines Bettlers unter ihnen weilt, haben die Menschen begonnen, die Bettler zuvorkommend zu behandeln. - Man konnte sich ja nicht mehr sicher sein, ob sich manch ein Bettler nicht plötzlich als König entpuppt. Da, wo ein König sich nicht zu schade war, ein Bettler zu werden, hat man angefangen, in den Bettlern mögliche Könige zu vermuten. So verschwand in dem besagten Königreich nach und nach die Armut. Das Bild eines armen Königs – und wie viel es doch bewirken kann.

 - 6-

Die Bibel ist in diesem Sinne auch ein Bilderbuch. Sie ist voller Bilder, die die Augen der Menschen der jeweiligen Zeit heilen sollen. Sie werden im Laufe der biblisch dokumentierten Religionsgeschichte des Juden-Christentums immer radikaler. Die Adventszeit ist hier sozusagen das Finale dieser biblischen Bilderschau. Sie beginnt heute mit dem Bild Gottes als dem eines bescheidenen Friedensfürsten. Und in vier Wochen gipfelt sie in dem Erweis der überwältigenden Macht Gottes auf dem Gesicht eines Kindes. „Ich protestiere“ - rief mein Schüler Leo, als ich einmal im RU das Portrait eines Kindes als das Bild Gottes präsentierte.

Aber wie sonst sollen unsere Augen geheilt werden, wenn nicht so? Wenn wir nicht begreifen, wie viel Macht in dem Blick eines Kindes steckt, weil er die Menschen schlicht nur in nett oder nicht nett einteilt, ungeachtet deren Titeln, Rollen und Funktionen. Die wirklich Großen dieser Welt haben sich diesen kindlichen Blick bewahrt. Und vor diesem Blick dieser großen und kleinen Kindern zittern alle die machtbesessenen Fürsten dieser Welt. Denn, war das nicht ein Kind, das als erstes sah und rief: Der Kaiser ist nackt?

Möge uns Gott heile Augen schenken, damit wir ihn nicht übersehen, wenn er zu uns kommt in SEINER Macht. AMEN

bottom of page