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Veröffentlicht in der KIRCHE im Sommer 2023

„Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht!​10 Verfette das Herz dieses Volks und ihre Ohren verschließe und ihre Augen verklebe, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.“

 

Alle Dinge haben mindestens zwei Seiten. Auch die Sprache. Sie kann Gutes und Böses bewirken. Das gilt umso mehr für die Kraft des Wortes Gottes. Wir haben dessen dunkle Seite beinahe vergessen. Vielleicht geht diese Vergessenheit mit der heutigen theologischen Konzentration auf den nur lieben Gott einher. Die antiken Menschen dachten konsequenter. Je stärker eine Wirkmacht, desto gewaltiger sowohl die guten als auch die bösen Folgen derselben. Die rettende Gewalt des deus revelatus und die dunkle Macht des deus absconditus halten sich auch noch bei Luther die Waage.Da Gott durch sein Wort wirkt, wäre es nur konsequent, die Alternative von heilsamer und zerstörerischer Kraft des Wortes Gottes im Blick zu behalten. Die Begegnung mit Gottes Wort hat einen existentiellen Charakter. Es ergeht an uns als ein existentieller Anruf, der uns auf die Probe stellt. Wie wir uns zu diesem Anruf verhalten, entscheidet über unser Heil oder Unheil. Das ist das Markenzeichen des Wortes Gottes: Vor ihm steht der und die Angesprochene selbst auf dem Spiel.Da, wo eine Beziehung auf dem Spiel steht, kommt es oft zu solchen Anrufen. Sie dienen der Prüfung des Vertrauens, sind geben ihm eine, noch eine, und noch die letzte Chance. Unser Text scheint mir ein solches Endstadium der Beziehung zu reflektieren. Eine traurige Gewissheit geht der letzten Chance voraus: Sie werden abermals nicht hören, nicht verstehen, sich nicht bekehren. Sprich zu ihnen, Jesaja, stell sie noch einmal vor mein Wort, damit sie sich selbst richten.Das verweigerte Wort richtet, das angenommene Wort richtet auf. Der unlösbare schicksalhafte Bund zwischen Mensch und Gott zeigt so seine dunkle Seite, wenn er seitens des Menschen verweigert wird. Nein, Gott ist nicht harmlos. Das Unvermeindliche der tiefen Intimität von Gott und Mensch hat die Konsequenz, dass das, was wir ihm antun, wir gleichzeitig uns selbst zufügen. Durch die Blindheit und Taubheit für Gott verlieren wir uns selbst aus den Augen. Und brechen wir die geistige Nabelschnur zu ihm ab, ist das der Beginn auch unserer Selbstabschaffung. Es gibt kein Leben ohne, sondern nur eines für oder gegen Gott.

Wir haben die Wahl.

 

Dr. Katarína Kristinová ist habilitierende Theologin, Dozentin und Vorsitzende der Evangelischen Akademikerschaft in Berlin und Brandenburg.

 

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