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Sehnsucht nach Gott - die Größe des Menschen

(Andacht zur Fortbildung ARU Neuruppin April 2018-04-24)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, woran misst man die Größe eines Menschen? An seinen/ihren Taten, Gedanken, Begabungen, an den moralischen Eigenschaften, seinen/ihren Verdiensten, an der Berühmtheit oder am Besitz? Ja, sicher, vielleicht auch daran. Ich möchte aber auf einen anderen Maßstab verweisen und hoffe, dass Sie mir da gedanklich probeweise folgen. Wie wäre es also damit, wenn wir die Größe eines Menschen an seinen/ihren Träumen messen würden? Wenn es also die Größe, die Tiefe, ja, die Qualität unserer Träume, Wünsche und Sehnsüchte ist, an der man die Größe der Person misst. Ich möchte mir einmal alles kaufen können, worauf ich in einem Geschäft zeige. – das war die Antwort eines Gymnasiasten der 11. Klasse auf meine Frage nach dem größten Lebenstraum. Und dieser Antwort haben sich begeistert nicht wenige angeschlossen.

…Wenn ich so etwas erlebe, und so etwas immer öfter erlebe, dann beschleicht mich das Gefühl, dass ich in der heutigen Welt immer mehr zu einem Auslaufexemplar werde, oder – um es in der Sprache der Marktwirtschaft auszudrücken: dass ich inzwischen zu einer Ausschussware geworden bin. …Das liegt wohl daran – und darin bin ich mir mit vielen KulturforscherInnen einig - , dass die Bühne der Weltgeschichte ein neuer Menschentypus betreten hat, und dieser neue Mensch stellt das bisher geltende Menschenbild auf nie gewesene Art radikal in Frage. Dieser neue Mensch, der langsam aber sicher die Erde bevölkert, zeichnet sich aus durch diverse Vorzüge, Stärken und Fähigkeiten, allen voran durch die Eigenmächtigkeit, also die Fähigkeit, sich selbst im Griff zu haben und sein Leben meistern zu können. Das flexible, leistungsfähige Individuum der Postmoderne schöpft aus eigenen Potentialen mit dem Ziel der Selbstoptimierung und der souveränen Gestaltung der Welt. Dieser Mensch – so der moderne Mythos Nietzsches – bedarf keines Gottes, weil er sich dieses himmlischen Vormunds heroisch entledigte und selbst seine Stellung einnahm. Man erkennt diesen Menschen daran, dass er sich in der Tat versucht, gottgleich zu gebärden. Abgeklärtheit und Coolness sind sein Markenzeichen. Staunen, Fragen, Zweifeln und Suchen sind als ein Zeichen der Schwäche nicht mehr angesagt.

…Eben weil es diesem gott-los gott-gleichen Menschen scheinbar an nichts mangelt, hat er in meinen Augen etwas beängstigend Unmenschliches. Aber doch, es mangelt ihm doch an etwas: Es mag erstmal in Ihren Ohren kompliziert klingen, aber dass es ihm an nichts mangelt, darin liegt sein größter tragischer Mangel. Es mangelt ihm an einer bestimmten Mangelhaftigkeit. – so meine These. Und von diesem inneren, geistigen und geistlichen Elend zeugt die Armseligkeit, Kurzsichtigkeit und Banalität seiner Träume. …Und da wären schon bei dem angekündigten Thema. Der ParadiesGedanke bzw. die Paradiesgeschichte in geradezu allen ihren kulturell-religiösen Ausformungen malt uns vor Augen das Bild gerade eines anderen Menschen. Menschen, zu dessen von Gott gewollten und gut geheißenen Menschlichkeit eine bestimmte Art von Mangelhaftigkeit unabdingbar und konstitutiv dazu gehört. Um diese Sehnsucht, die so alt ist wie die Menschheit selbst, zu verdeutlichen bzw. zu veranschaulichen, fabuliert die Paradiesgeschichte(n) einen Urzustand einer Einheit von Gott und Mensch. Es ist die uns bekannte Art der retrospektiven biblischen Kausalität: Weil der Mensch wenn er stirbt, zur Erde wird, muss er auch zu Beginn Erde gewesen sein. Ähnlich hier: Weil der Mensch sein Lebenlang eine Art unstillbare Sehnsucht nach dem verspürt, was ihm diese Welt nicht bieten kann, weil er sich immer wieder nach einer anderen Heimat

sehnt, weil er offenbar so was wie einen Trennungsschmerz in sicht trägt, HEIßT DAS WOHL, es muss zuvor einen Zustand gegeben haben, in dem Gott und Mensch nicht getrennt waren, und der Mensch bei Gott und also ganz Mensch war. M.a.W.: Ein vollständiges und vollwertiges Menschsein ist nur mit Gott möglich. Deswegen dieses transzendentale Vermissen, dem in der Paradiesgeschichte ein narrativer Ausdruck verliehen wird. Ich bin ohne Gott kein Mensch, und unruhig ist mein Herz, solange es nicht zu ihm zurück findet. …Ein Mensch, dem es an Gott mangelt, ist ein Gegentypus zu dem neuen gott-losen Menschen, der von dieser Sehnsucht nichts mehr weiß und nichts mehr spürt. Aber – und das ist auch die implizite Botschaft des Paradiesgedankens – die wahre Größe des Menschen besteht darin, dass wir Gottes bedürfen, dass wir den Traum von Gottesnähe in uns tragen. … Dieser Mangelhaftigkeit entspringen die wahren Stärken und Vorzüge. Die Bindung an Gott macht uns frei von anderen Bindungen. Die Sehnsucht nach Gott trägt uns über die Grenzen des Verfügbaren hinaus, so dass wir uns nicht abfinden, nicht zufrieden geben mit dem Vorfindlichen, sondern geleitet von einer visionäre Kraft neue Wege beschreiten. Die Unruhe in uns ist heilsam, weil sie uns in die Tiefendimensionen der Wirklichkeit führt und damit auch uns Tiefe verleiht.

Die metaphysische Mangelhaftigkeit macht den Menschen zu mehr als einem optimierten Exemplar der Gattung Mensch, sondern schafft in uns dadurch einen Abglanz der Ewigkeit im Sinne von schöpferischer Unabgeschlossenheit. Ja, sie macht auch verwundbar und anfällig aber gerade darin zutiefst menschlich. … Solange wir also das verlorene Paradies vermissen, solange die Sehnsucht nach einem echten Leben, nach einer Heimat bei Gott überwiegt und über die Sattheit siegt, solange unsere Träume über das Endliche hinaus und ins Ewige hinein reichen, sind wir noch nicht verloren, sind wir noch Menschen. Ich wünsche uns allen, dass dieser unsere Traum nicht schrumpft und schwindet, sondern unser Denken und Handelt – ja auch das pädagogische Denken und Handeln – leitet und stärkt. AMEN

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